A. Gallay: L’archéologie aux sources du Rhône

Cover
Titel
Autour du Petit-Chasseur. L’archéologie aux sources du Rhône, 1941–2011


Autor(en)
Gallay, Alain
Erschienen
Sion 2011: Musées cantonaux du Valais
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marc-Antoine Kaeser

Anlässlich des 50. Jahrestag der Entdeckung der bedeutenden Fundstelle Petit-Chasseur (Sion VS) haben sich die Walliser Kantonsarchäologie, das Geschichtsmuseum Wallis und die Universität Genf zusammengeschlossen und im Verlauf des Jahres 2011 eine Reihe von Veranstaltungen organisiert: eine Ausstellung, Tage der experimentellen Archäologie, ein Doktorandenkolloquium sowie eine internationale Tagung (deren Tagungsband in Kürze erscheinen wird). Des Weiteren ermöglichte ein Verlagsprogramm die Publikation mehrerer, seit langem erwarteter Monographien zu neolithischen Fundstellen im Wallis (s. Liste am Schluss dieser Rezension). Die Untersuchung der Monumente am Petit-Chasseur ist in der Tat ein Meilenstein der prähistorischen Forschung der letzten fünfzig Jahre in der Schweiz. Sie erfolgte innerhalb eines weitgefassten Forschungsprogrammes zur Ur- und Frühgeschichte des Wallis, das von der Universität Genf erarbeitet und grösstenteils auch durchgeführt wurde. Parallel zu den Grossgrabungen in den Seeufersiedlungen, die vor allem im Rahmen des Autobahnbaus stattfanden, entwickelte sich also die Untersuchung des Petit-Chasseur zu einem Modellfall für die Mineralbodenarchäologie, der zweifelsohne über die Bundesebene hinaus von erheblicher Bedeutung ist.

Das Buch ist angenehm zu lesen und reich bebildert. Es stellt eine Synthese des anspruchsvollen Forschungsprogrammes dar, das Alain Gallay über lange Jahre geleitet hat. Daher reicht es weit über eine kritische Analyse des zeitlichen und kulturellen Rahmens der Entwicklungen hinaus, die in der Nekropole Petit-Chasseur im Verlauf des Spätneolithikums, der Glockenbecherzeit und der Frühbronzezeit abliefen. Nach einem kurzen forschungsgeschichtlichen Abriss zur Archäologie im Wallis seit dem 15. Jh. zeigt Gallay den Innovationscharakter der ersten systematischen Erforschungen auf, die seit den 1940er Jahren in den Siedlungsfundstellen in der Rhoneebene erfolgten. Anschliessend behandelt er die Entdeckung der berühmten anthropomorphen Stelen und die Ausgrabung der Nekropole Petit-Chasseur, und verdeutlicht, wie diese Arbeiten den Wissenschaftlern Perspektiven eröffneten, zum Beispiel im Zusammenhang mit Analysen zur Umweltgeschichte oder mit Modellen zur wirtschaftlichen Nutzung des Siedlungsraums. Der Band gibt abschliessend einen zusammenfassenden Überblick über die in den letzten 25 Jahren durchgeführten Untersuchungen zum Rhythmus und den Modalitäten der prähistorischen Besiedlung im Wallis, vom Paläolithikum bis zum Ende der Eisenzeit, zwischen Rhoneebene, Mittel- und Hochgebirgslagen. Die Synthese wird durch Übersichtsartikel ergänzt, die mehrheitlich von ehemaligen Schülern Alain Gallays verfasst wurden. In ihnen werden die jüngeren und noch laufenden Untersuchungen vorgestellt; sie veranschaulichen die aktuelle Dynamik der Archäologie im Wallis.
Selbstverständlich ist dieses Buch von grossem Interesse für Neolithiker, ebenso wie für Spezialisten der Glockenbecherkultur, des Megalithphänomens sowie der Gräberarchäologie. Aufgrund der eingehenden kritischen Stellungnahmen, die Alain Gallay in Bezug auf die jüngere Forschungsgeschichte der Archäologie bezieht, dürfte es darüber hinaus alle Archäologieinteressierten ansprechen. Ausgehend von der Fallstudie zur Fundstelle Petit-Chasseur, liefert Gallay, der für seine Arbeiten zur Entwicklung ethnographischer Modelle und für sein Bemühen um die Formalisierung archäologischer Konzepte renommierte Prähistoriker, tatsächlich eine retrospektive Überprüfung, die durch ihren Weitblick, aber auch durch ihre ausserordentliche Reflexivität beeindruckt.

Genau genommen behandelt das vorgelegte Werk die Praxis der Archäologie als «Science in action» im Sinne Bruno Latours. Es wird die Anwendung von methodologischen Überlegungen und theoretischen Neuansätzen diskutiert, ebenso aber das Aufkommen von neuen Verfahren der Datenvereinheitlichung sowie von neuen Ausgrabungstechniken — etwa die Verwendung des Industriestaubsaugers, der von Olivier-Jean Bocksberger 1962 pioniermässig auf der Ausgrabung der Fundstelle Petit-Chasseur eingesetzt wurde und dem Alain Gallay eine besondere heuristische Bedeutung zumisst.

Mit der Erörterung der Rolle, welche die theoretischen Strömungen bei der Entwicklung des Forschungsprogrammes gespielt haben, erstellt Alain Gallay eine sehr interessante Analyse der verschiedenen wissenschaftlichen Einflüsse, die den Forschungsprozess gekennzeichnet haben. Und, eine Seltenheit, vielleicht eine Ausnahme in unserem Fach, er behandelt auch die heuristischen Fehler, auf denen die Interpretationen beruhen, indem er die Gründe für die Irrwege untersucht, auf die sich die Archäologen bisweilen begeben haben. Durch diese Offenheit wird die Arbeit der Archäologinnen und Archäologen in besonderer Weise anerkannt. Denn über die positiven Interaktionen zwischen Ausgrabung und Theorie hinaus, die Alain Gallay sehr anschaulich darlegt, erinnert er in seinem Buch zu guter Letzt daran, dass die Konzepte, Methoden und methodischen Hilfsmittel ständig an die Anforderungen der Feldarbeit angepasst werden müssen.

Zitierweise:
Marc-Antoine Kaeser: Rezension zu: Alain Gallay, Autour du Petit-Chasseur: L’archéologie aux sources du Rhône, 1941–2011. Paris/Sion 2011. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 96, 2013, S. 261.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 96, 2013, S. 261.

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